Die ersten Anfänge:
Şayyid Quttb ist in einer Familie aufgewachsen, die nicht frei war von einigen Neuerungen. Sein Vater hat in Anwesenheit seiner Kinder nach jedem Abendessen die Sure al-Fātiĥah rezitiert und den Lohn dafür den Seelen seiner verstorbenen Eltern gewidmet.[1]
Zu den Traditionen, mit denen er aufwuchs, gehörten auch die Feste, die sein Vater fortwährend veranstaltet hatte, wenn er den gesamten Qur`ān zu Ende gelesen hatte. Dieses Fest wurde daheim gefeiert, vor allem in Ramadan.[2]
Außerdem hieß sein Dorf, wo er aufwuchs, auch „Ortschaft von Scheich ‘Abdul-Fattāĥ“, da dieser eines Ihrer Heiligen war und einen hohen Rang unter ihnen genoss.[3]
So wurden diese Geschehnisse in ihren Büchern erwähnt, ohne diese in irgendeiner Weise abzulehnen, weder von Şayyid Quttb selbst noch von al-Khālidī.
Der Jüngling lernt den Qur`ān aus der Sicht der Herausforderung:
Şayyid Quttb lernte den Qur`ān auswendig, während er noch ein Jugendlicher war, doch tat er dies aus der Sicht der Herausforderung. Denn als sein Qur`ān-Lehrer entlassen wurde, verbreitete dieser das Gerücht, dass die Regierung den Qur`ān bekämpfen wolle. Er hat deshalb die Bewohner dieses Dorfes aufgefordert, ihre Kinder von der Schule zu nehmen und sie in seiner Vorschule anzumelden. Einige Väter kamen dieser Aufforderung nach, zu ihnen gehörte auch der Vater von Şayyid. Şayyid blieb jedoch nur ein Tag in dieser Vorschule und kehrte dann wieder zurück in die staatliche Schule, da ihm diese Vorschule missfiel. Er lernte dann jedes Jahr zehn Anschnitte des Qur`āns bei sich daheim auswendig, um zu beweisen, dass die Schule den Islam nicht bekämpfe. Hätte doch Şayyid nur seinen Qur´ān-Unterricht weitergeführt, indem er danach die islamische Rechtslehre (Scharī‘ah) gelernt hätte, doch leider tat er dies nicht.
Eine şūfische und auf märchenbasierende Bildung von klein auf:
Şayyid Quttb begeisterte sich von klein auf für das Lesen und Erwerben von Büchern. Er sammelte bei sich etwa fünfundzwanzig Bücher, für die er sich begeistern lies. Seine Begeisterung ging so weit, dass er sich regelrecht nach diesen sehnte. Zu diesen Büchern gehörten: „al-Burdah“, „Die Biographie von Ibrāhīm ad-Daşūqī“, „aş-Şayyid al-Badawī“, „‘Abdul-Qādir al-Djīlānī“, „Der Vermittler des Guten“ und „Das Bittgebet für die Hälfte des Monats Scha’bān“.[4] All das sind Bücher der Neuerung, des Sufismus, der Märchenerzähler, der Grabesanbeter und der Fanatiker, was auch allerseits bekannt ist.
Dann wurde aus dem Jüngling ein Scharlatan:
Bedauerlicherweise gab es daheim in der Bibliothek seines Vaters auch zwei mysteriöse Bücher, die etwas mit Schwindelei und Hexerei zu tun hatten. Es waren das Buch „Abū Ma’schar al-Fallakī“ und das Buch über Hexerei „Schamhursch“. Diese werden benutzt, um Horoskope zu lesen und Hexerei im Bezug auf das Schaffen von Hass oder Liebe (aş-Şarff wa l-‘Atff) zu betreiben.
Şayyid Quttb hat diese Betrügereien gelernt, während er noch jung war und hat diese dann in seinem Dorf betrieben. Er wurde schnell zu einem begehrten Scharlatan, da diese ja bekannter weise meistens von Frauen, jungen Mädchen und Jugendliche aufgesucht wurden und weil er schließlich noch jung war. Er tat dieses jedoch, ohne Entgelt dafür zu nehmen. Dieses hat er über sich selbst geschrieben und zwar in seinem Buch „Ein Junge aus dem Dorf“.[5]
Sein Irregehen kam dem Atheismus gefährlich nah:
Als er in seiner Abiturzeit sein Dorf verlassen hat und nach Kairo zog, fing sein neuer Lebensabschnitt an, das geprägt war von Zweifel, mangelnder Überzeugung und Abkehr von der Religion. Lange Zeit beschäftigte er sich nur noch mit seiner Mitgliedschaft in der al-Waffd-Partei.[6] Dieses Umherirren und Verloren sein hielten bei ihm an, bis er schließlich vierzig Jahre alt wurde.[7]
In dieser langen Zeit beschäftigte er sich ausschließlich mit Literatur und Kritik (al-Adabb wa n-Naqdd). Dabei waren seine Kritik bekannt für ihre Härte, Angriffslust, Beleidigung, Meckerei, Spott und Satire gewesen.[8]
Der Wandel:
Nach dieser langen Zeit hat er dann einen neuen Weg eingeschlagen, indem er anfing, den Qur`ān aus einer literarischen Sicht zu studieren. Danach schrieb er zahlreiche Artikel, in denen er die Lage der Gesellschaft massiv kritisiert hat. Dann beteiligte er sich an der Revolte gegen die herrschende Königsfamilie in Ägypten, bis der König dann schließlich am Ende inhaftiert wurde. Er schloss sich danach der „Muslimischen Bruderschaft“ (Ikhwān al-Muşlimīn) an. Dabei zeichnete er sich selbst eine neue Methodik (Manhadj) auf, das aber weiter im Rahmen der „Muslimischen Bruderschaft“ blieb. Seine neue Richtung wurde in geheim organisierten Zellen weiterverbreitet, die jedoch später entlarvt wurden, sodass er diesbezüglich verurteilt und dann auch hingerichtet wurde.
Welche Erkenntnisse kann man aus seinem Lebenslauf gewinnen?
In seinem gesamten Lebenslauf lässt sich nichts wiederfinden, dass darauf schlissen könnte, dass er in irgendeine Form die islamische Lehre, die ja aus Tauĥīd, Ĥadīth, Taffşīr, Fiqh, Uşūl al-Fiqh und so weiter besteht, bei einem anerkannten Gelehrten der Muslime studiert hat. Sein Wissen erlangte er durch Selbststudium – Allah allein weiß, auf welche Quellen er sich dabei gestützt hat. Tatsache ist, dass er Bücher über Hexerei, Schwindelei, Sufismus, Grabesanbetung und Märchenerzählung besaß. Außerdem las er auch zahlreiche Literaturen der Schiiten, der Khawāridj und der Mu’tazilah. Somit war er weit entfernt gewesen von den Büchern der Leute der Şunnah und den Berichten der Gefährten. Diesen authentischen Quellen hat er keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Deshalb waren seine Feststellungen voller Falschheit und Abweichung von der Wirklichkeit des Islams gewesen, sei es in Bezug auf die Fundamente des Glaubens oder auch bezüglich seiner Details.
Somit wäre es doch ein unglaublicher Betrug, wenn man ihn den Muslimen als Vorbild präsentieren würde, nach dessen Rechtleitung sie sich orientieren und dessen Şunnah sie verinnerlichen sollten. Derjenige, der die Gottesfürchtigen nicht zu seinen Vorbildern nimmt – der ja als aller erstes Muĥammad, möge Allah ihn loben und Heil schenken, ist, dann seine Gefährten und dann die Gelehrte, die ihnen darin auf beste Weise gefolgt sind – der hat es nicht verdient, nach ihm das Vorbild der Gottesfürchtigen zu sein. Denn die Religion ist auf das Befolgen aufgebaut und nicht auf das Erfinden. Nur so kann die Religion geschützt bleiben und rein sein von jeglichen Makel. Und Allah weiß es am besten!
[1]Buch von al-Khālidī (S.36); „Szenen des Jüngsten Tages im Qur`ān“ („Maschāhid al-Qiyāmah fī l-Qur`ān“, S.5)
[2]Buch von al-Khālidī (S.35)
[3]Buch von al-Khālidī (S.25); „Ein Kind aus dem Dorf“ von Şayyid Quttb („Tiffl mina l-Qaryah“, S.86)
[4]Buch von al-Khālidī (S.65); „Ein Kind aus dem Dorf“ (S.127)
[5]Buch von al-Khālidī (S.66); „Ein Kind aus dem Dorf“ (S.139, 141)
[6]Anm. des Übersetzers: Die Waffd-Partei (Waffd, „Delegation“) ist eine ägyptische nationalistische Partei, die heute als "liberal" bezeichnet wird und einige wenige Mandate im Parlament besitzt.
[7]Buch von al-Khālidī (S.214)
[8]Buch von al-Khālidī (S.166)