Frage:
Ich habe eine Frage über den Sufismus. Sie haben bestimmte Bittgebete für die Nacht zur Hälfte von Scha’bān und stehen in dieser Nacht auch auf, um gemeinsam das freiwillige Gebet (Qiyām al-Layl) zu verrichten. Außerdem fasten sie den Tag zur Hälfte von Scha’bān. Was ist eure Meinung zu dieser Gruppe?
Antwort:
Es ist bei den Ahlu ş-Şunnah bekannt, dass das Aufstehen in der Nacht zur Hälfte von Scha’bān (für das freiwillige Gebet) und das Fasten an diesem Tag zu den Neuerungen gehört, die von der Scharī’ah nicht erlassen wurden. Dies hat zwei Gründe:
Erster Grund: Es ist nichts darüber überliefert worden, dass der Prophet, möge Allah ihn loben und Heil schenken, seine Gefährten oder die übrigen rechtschaffenen Vorfahren (Şalaf) dieser Nacht eine besondere Aufmerksamkeit schenkten, weder durch das Aufstehen in dieser Nacht (für das Gebet) noch indem sie den darauffolgenden Tag gefastet haben. Dies ist der erste Grund.
Wir glauben entschieden daran, ohne zu zweifeln oder zaghaft dabei zu sein, dass alles Gute im Befolgen der rechtschaffenen Vorfahren (Şalaf) steckt und alles Schlechte in den Neuerungen der Nachfolger (Khalaf). Daraus ergibt sich folgendes: Jede Art von Anbetung (‘Ibādah), das erst nach den rechtschaffenen Vorfahren eingeführt wurde, zu den Neuerungen gehört. Außerdem hat der Prophet, möge Allah ihn loben und Heil schenken, den Begriff der Irreführung auf jede Art der Neuerung angewandt, egal wie bedeutsam sie (bei ihren Leuten) sein mag oder von ihren Anhängern geschmückt und verschönert wird. Dies verhält sich so, wie ein Gefährte des Propheten, möge Allah ihn loben und Heil schenken, der ja zu ihren gottesfürchtigsten und wissendsten gehört, nämlich ‘Abdullah Ibn ‘Ummar Ibn al-Khattāb, Allahs Wohlgefallen auf ihm, gesagt hat: „Jede Neuerung ist Irreführung, auch wenn die Menschen es als etwas Gutes ansehen sollten!“
Diese authentische Überlieferung über Ibn ‘Ummar ist die unmissverständliche Erklärung der allgemeinen Aussage des Propheten, möge Allah ihn loben und Heil schenken: „Jede Neuerung ist Irreführung!“ Ibn ‘Ummar sagt in deutlicher arabischer Sprache: „Jede Neuerung ist Irreführung, auch wenn die Menschen es als etwas Gutes ansehen sollten!“ Wenn dies also so ist, dann ist das Fasten in der Nacht zur Hälfte von Scha’bān und das Aufstehen in dieser Nacht für das Verrichten des freiwilligen Gebets zwei Dinge, die in die Religion neu eingeführt wurden, da sie zur Zeit der rechtschaffenen Vorfahren nicht existiert haben. Das ist zu Punkt eins.
Zweitens: Diejenigen, die solch eine besondere Aufmerksamkeit für die Nacht zur Hälfte von Scha‘bān billigen, stützen sich dabei auf einen Ĥadīth, dessen Überlieferungskette sehr schwach ist. Dieser Ĥadīth wurde bei Ibn Mādjah in seinem „Şunnan“ über den Propheten, möge Allah ihn loben und Heil schenken, verzeichnet, wo darin er sagte – dieses darf dem Propheten jedoch nicht zugeschrieben werden: „Wenn die Nacht zur Hälfte von Scha’bān anbricht, dann steht in der Nacht (für das freiwillige Gebet) auf und fastet am Tage.“
Dann erwähnte er einen Vorteil, bei dem der Überlieferer, dem seine bösen Taten ihm ausgeschmückt wurden, übertrieben hat, als er diesen Ĥadīth seinem Gesandten, möge Allah ihn loben und Heil schenken, zugeschrieben hat. Dazu gehört zum Beispiel, dass einer Person an diesem Tag so und so viel Sünde und Fehltritte vergeben wird. Dieser Ĥadīth ist sehr schwach, sodass damit nicht gearbeitet werden darf. Dieses gilt auch sogar bei denen, die es für erlaubt ansehen, mit einem schwachen Ĥadīth im Bereich der rechtschaffenen Werke zu arbeiten. Denn auch bei ihnen gilt die Bedingung, dass die Schwäche eines Ĥadīths nicht stark sein darf.
Doch dieser Ĥadīth ist sehr schwach. Außerdem kann zum Fasten in der Hälfte von Scha’bān auch seine folgende Aussage, möge Allah ihn loben und Heil schenken, hinzugefügt werden, das bei uns authentisch ist: „Wenn die Hälfte von Scha’bān verstrichen ist, dann fastet nicht bis Ramadan.“
Zweifellos ist der fünfzehnte Tag die Hälfte von Scha’bān, vor allem, wenn der Monat Scha’bān kürzer ist und nur neunundzwanzig Tage hat. In diesem Fall ist es dann zweifellos die Hälfte von Scha’bān und das Fasten ist nicht erlaubt.
Somit haben diejenigen, die in der Hälfte von Scha’bān fasten, gleich zwei Fehler begangen. Sie haben mit einem Ĥadīth gearbeitet, der sehr schwach ist. Und wenn sie sagen sollten, dass sie auf diesen Ĥadīth nicht angewiesen seien, dann sagen wir ein weiteres Mal zu ihnen, dass sie in der Religion Allahs etwas neues eingeführt haben, dass keinen Ursprung hat. Außerdem haben sie dem authentischen Ĥadīth widersprochen, wo darin er, möge Allah ihn loben und Heil schenken, sagte: „Wenn die Hälfte von Scha’bān verstrichen ist, dann fastet nicht bis Ramadan.“
Somit darf der Nacht zur Hälfte von Scha’bān keinerlei besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da bezüglich ihrer Gunst nichts Authentisches überliefert wurde. Außerdem wurde über die rechtschaffenen Şalaf nichts überliefert, dass sie dieser Nacht eine besondere Aufmerksamkeit schenken, so wie wir es von diesen Nachfolgern hören.
Was die Hälfte von Scha’bān anbetrifft, so haben wir nun gezeigt, dass der erste Ĥadīth, den wir zuvor erwähnten, nicht authentisch ist und im Gegensatz dazu folgender Ĥadīth authentisch ist: „Wenn die Hälfte von Scha’bān verstrichen ist, dann fastet nicht bis Ramadan.“
In dieser Angelegenheit sieht man jedoch wieder, dass die unwissende Masse der Menschen leider einigen Anbetungen ihre völlige Aufmerksamkeit schenkt, obwohl diese nicht authentisch sind, weder aus der Sicht der Überlieferungskette noch aus der Sicht des Verständnisses. Doch im Gegensatz dazu schenken sie den Anbetungen, die authentisch über den Propheten, möge Allah ihn loben und Heil schenken, überliefert wurden und über die die Gelehrten der Muslime keine Meinungsverschiedenheit haben, sehr wenig Achtung. Sie schenken den Anbetungen ihre Achtung die keine Achtung verdienen und widersetzen sich im Gegensatz dazu den Anbetungen, die ihre Achtung erfordert. Dies ist eine Ermahnung und die Ermahnung nützt den Gläubigen, wenn Allah will.
Scheikh Nāşir ad-Din al-Albānī in „al-Hudā wa n-Nūr“, Kassette Nr. 186